Kraft- oder Ausdauertraining - was kommt zuerst?
Nach dem Krafttraining noch etwas auf dem Laufband schwitzen oder lieber andersherum – erst Cardio- und dann Muskeltraining? Wenn du dich auch schon einmal gefragt hast, in welcher Reihenfolge das Training effektiver ist, erhältst du im folgenden Artikel die Antwort. Unsere Sportwissenschaftlerin und Fitnesstrainerin Kristina erklärt dir, worauf du achten solltest, wenn du Kraft- und Ausdauertraining in einer Trainingseinheit miteinander kombinieren möchtest - und warum es unter Umständen Sinn machen kann, das Training von Kraft und Ausdauer zeitlich voneinander zu trennen.
Übersicht
- Das Prinzip der richtigen Belastungsfolge
- Kraft vor Ausdauer - sinnvoll oder nicht?
- Das Prinzip der zielgerichteten Belastungsfolge
- Erste Variante: Das Krafttraining steht bei dir im Fokus
- Zweite Variante: Das Ausdauertraining ist dir wichtiger
- Dritte Variante: Du möchtest abnehmen oder fitter werden
- Allgemeine Empfehlung und Schlusswort
Das Prinzip der richtigen Belastungsfolge
Ein allgemeiner Grundsatz aus der sportwissenschaftlichen Trainingslehre lautet: „Koordinativ und technisch anspruchsvolle Bewegungen sind im Training zeitlich vor konditionellen Belastungen zu platzieren.“ Dabei ist wichtig zu wissen, dass mit „konditionellen Belastungen“ nicht nur das Ausdauer-, sondern auch das Krafttraining gemeint ist. Umgangssprachlich wird der Begriff Kondition zwar mit „Ausdauer“ synonym verwendet. In der Sportwissenschaft werden unter konditionellen Fähigkeiten hingegen Ausdauer und Kraft sowie Schnelligkeit und Beweglichkeit zusammengefasst und von den koordinativen Fähigkeiten (z.B. Gleichgewicht und Rhythmus) abgegrenzt. Wenn beide Fähigkeiten – also koordinative und konditionelle – in einer Trainingseinheit kombiniert werden sollen, so gilt dem oben genannten Grundsatz zufolge: „Koordination vor Schnelligkeit vor Kraft vor Ausdauer“. Bei noch näherer Betrachtung und übertragen auf das Fitnesstraining würde sich demnach folgende Belastungsreihenfolge im Rahmen einer Trainingseinheit ergeben:
#1 Koordinativ anspruchsvollere Übungen (z.B. Kniebeugen, Kreuzheben, Schlingentraining)
#2 Schnelligkeits- bzw. Schnellkraftübungen (z.B. Box Jumps, Skippings)
#3 Maximalkrafttraining (Krafttraining mit bis zu 12 Wdh., das 70% und mehr der individuellen Maximalkraft beansprucht)
#4 Kraftausdauertraining (Krafttraining mit ca. 25 bis 40 Wdh., das 50 bis 60% der individuellen Maximalkraft beansprucht)
#5 Ausdauertraining (z.B. Rudern, Radfahren, Laufen)
Kraft vor Ausdauer - sinnvoll oder nicht?
Macht diese Reihenfolge dem oben genannten Prinzip zufolge im Fitnessbereich tatsächlich Sinn? - Jein.
Zunächst ist es durchaus ratsam, koordinativ anspruchsvollere Übungen an den Anfang des Krafttrainings zu setzen, um diese möglichst fokussiert und effizient ausführen zu können. Konträr ist jedoch anzumerken, dass im Fitnesssport im Rahmen einer einzigen Trainingseinheit in der Regel nicht alle Dimensionen der Muskelkraft, sprich: Schnellkraft, Maximalkraft und Kraftausdauer, bedient werden. Dies ist eher bei Sportarten wie etwa Fußball der Fall, wo gleichzeitig koordinative Fähigkeiten (z.B. trippeln), Sprints (Schnell- und Maximalkraft) und Grundlagenausdauer (Kraftausdauer) gefragt sind. Im Fitnessbereich wird gewöhnlich entweder im Bereich der Maximalkraft oder im Bereich der Kraftausdauer trainiert. Außerdem steht meist eins der folgenden Ziele im Vordergrund:
- Muskelaufbau
- Abnehmen
- Allgemeine Fitness verbessern
Das Prinzip der zielgerichteten Belastungsfolge
Zur Beantwortung der Frage, wie du dein Training am besten aufbaust, solltest du dir also zunächst darüber im Klaren sein, was du erreichen willst. Damit sind wir bereits beim nächsten, wichtigen Punkt: dem Prinzip der zielgerichteten Belastung. Dieses besagt, dass allein das Trainingsziel über Aufbau, Methoden, Inhalte, Belastungsintensitäten- und umfänge des Trainings entscheidet und das Training diesem Ziel entsprechend gestaltet werden sollte. Für dich heißt das konkret: Ist es dein Ziel deine Ausdauer zu verbessern, sollte die Ausdauereinheit vor dem Krafttraining stattfinden. Möchtest du hingegen Muskeln aufbauen, solltest du mit dem Krafttraining beginnen. Diese Empfehlung lässt sich mit einem einfachen Prinzip - dem Prinzip des trainingswirksamen Reizes - begründen. Diesem Grundsatz zufolge muss im Training eine bestimmte Reizschwelle überschritten werden, damit Anpassungen im Körper ausgelöst werden, sprich: du dich verbessern und sichtbare Erfolge feststellen kannst. Diese Schwelle ist beim Einsteiger im Übrigen geringer als beim Erfahrenen. Um einen trainingswirksamen Reiz auslösen zu können, solltest du das Training möglichst frisch und ausgeruht absolvieren. Stelle dir also zunächst die Frage nach deinem persönlichen Trainingsziel. Möchtest du
- effektiv abnehmen?
- Muskeln aufbauen (oder anders gesagt: deinen Körper straffen)?
- deine Ausdauerleistung steigern (vielleicht einen Marathon laufen)?
- allgemein fitter und gesünder werden?
Erste Variante: Das Krafttraining steht bei dir im Fokus
Ist es dein Ziel Muskeln aufzubauen oder deine Maximalkraft zu steigern, sollte dem Prinzip der zielgerichteten Belastung zufolge mit dem Krafttraining begonnen werden. Eine vorangegangene Ausdauereinheit würde die Muskulatur vorermüden, was die gewünschte Leistung beim Krafttraining beeinträchtigen kann. Hinzu kommt, dass während des Cardiotrainings die Kohlenhydratspeicher entleert werden, welche für die Energiebereitstellung beim Krafttraining benötigt werden. Studien bestätigen: "Gleichzeitiges Kraft- und Ausdauertraining kann die Wirkung des Krafttrainings einschränken und zu einer geringeren Kraftentwicklung führen". Nicht zuletzt ist aufgrund der Vorermüdung auch das Verletzungsrisiko erhöht - besonders dann, wenn mit schweren Gewichten trainiert wird.
Möchtest du nach dem Krafttraining noch etwas auf dem Laufband schwitzen ist zu bedenken, dass der Körper ausreichend Regeneration für alle Anpassungs- und Widerherstellungsprozesse benötigt. Ein zu intensives oder langes Ausdauertraining könnte muskelaufbauende Prozesse negativ beeinflussen. Wenn du trotzdem ein lockeres Auslaufen oder eine andere moderate Ausdauereinheit anschließen möchtest, empfehle ich dir deine Glykogenspeicher zwischendrin aufzufüllen.
Zweite Variante: Das Ausdauertraining ist dir wichtiger
Liegt hingegen dein Hauptaugenmerk auf der Verbesserung deiner Ausdauerleistung, sollte auch hier das Prinzip der zielgerichteten Belastung Anwendung finden und mit dem Training der Ausdauer auf dem Laufband, Fahrrad oder Rudergerät begonnen werden. Eine zuvor durchgeführte Krafteinheit könnte sich negativ auf die Bewegungsökonomie und Technik auswirken sowie zu Fehl- bzw. Überlastungserscheinungen führen. Zudem gilt auch im Ausdauerbereich: Um einen trainingswirksamen Reiz setzen zu können, sollte die Muskulatur bei langen und intensiven Ausdauerbelastungen möglichst erholt sein.
Bedenke, dass bei einem anschließenden Krafttraining mit Gewichten deine Muskeln vorermüdet sind und dadurch eine erhöhte Verletzungsgefahr besteht. Stabilisierende Kräftigungsübungen sind denkbar, wobei du auch hier aufgrund der Vorbelastung weniger intensiv an diesen arbeiten kannst.
Dritte Variante: Du möchtest abnehmen oder fitter werden
Wenn du abnehmen oder deine allgemeine Fitness verbessern möchtest, ist eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining am effektivsten. Die Reihenfolge spielt in diesem Fall eine weniger große Rolle. Ein gleichzeitiges Training von Kraft und Ausdauer - beispielsweise im Rahmen eines Zirkel- oder Intervalltrainings (z.B. HIIT) - bietet sich hier sehr gut an. Oder du trainierst eben erst das eine und dann das andere - startest beispielsweise mit einem Oberkörpertraining und schließt eine moderate Laufsession im Bereich der Grundlagenausdauer an. Oder aber du beginnst mit einer moderaten Rudereinheit, gefolgt von einem intensiven Bein-Workout. Aber auch hier gilt, je ausgeruhter du bist, desto effektiver wird dein Training. Versuche also nicht in jedem Training alle Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und denke an die nötigen Erholungsphasen zwischen den Trainingseinheiten, die dein Körper für alle Anpassungs- und Wiederherstellungsprozesse benötigt.
Allgemeine Empfehlung und Schlusswort
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die individuelle Zielsetzung darüber entscheiden sollte, welches Training - ob Kraft oder Ausdauer - zuerst absolviert wird. Solltest du die Möglichkeit haben, Kraft und Ausdauer zu unterschiedlichen Tageszeiten oder an verschiedenen Trainingstagen zu absolvieren, würde ich dir Raten, diese Variante zu bevorzugen. In mehreren Studien konnten nämlich positive Wechselwirkungen zwischen Kraft- und Ausdauertraining insbesondere dann festgestellt werden, wenn diese getrennt voneinander absolviert und ausreichend lange Erholungszeiträume zwischen den Trainingseinheiten eingehalten wurden.
Generell solltest du dich bezüglich der Reihenfolge aber nicht verrückt machen. Schließlich kommt es vor allem auf den Spaß beim Training an und darauf, langfristig am Ball zu bleiben. Daher kannst du dich neben den genannten Empfehlungen auch ruhig einmal fragen: Welches Training motiviert mich und macht mich glücklich?
Viel Spaß!
Deine Kristina
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